Der Lokomotivgucker

Alfred Schuchardt aus Stuhr fotografiert seit 1964 Züge in ganz Deutschland und Europa. Sein Archiv umfasst mehr als 7.000 Fotos.

Von Ulf Buschmann

Über solch’ neumodischen Kram wie Trainspotter muss Alfred Schuchardt lachen. „Wir nannten uns damals Lokspäher“, sagt der geborene Bremer, der in Stuhr lebt. Alfred Schuchardt, von Beruf Kaufmann im Vertrieb und jetzt Rentner und Opa, fotografiert seit 1964 alles das, was irgendwie auf Schienen fährt – damals war er 15 Jahre alt.

Mit einem Freund gründete er 1964 den „Pfiff-Klub Roland“, den sie als Jugendliche – und nachdem sich die Mitgliederzahl auf sechs Personen erhöht hatte – in „Eisenbahn-Club Roland“ umbenannten. „,Pfiff-Klub’ klang uns dann doch zu kindisch“, erinnert sich Alfred Schuchardt mit einem Schmunzeln.

Was im Jahr 1964 begonnen hat, hält bis heute an, sprich: Alfred Schuchardt fasziniert immer noch alles das, was mit Schienen, Dampf, Diesel und E-Antrieb, Drehgestellen und Co. zu tun hat. Allerdings ist er nicht mehr ganz so häufig auf der Jagd nach dem guten Motiv auf Schienen wie einst. Der Wahl-Stuhrer bleibt lieber in der Region und hilft ehrenamtlich dabei, dass der Pingelheini rollt: Er ist seit 2021 kaufmännischer Vorstand der Kleinbahn Leeste. Am 30. April ist in diesem Jahr übrigens Saisoneröffnung.

Dampflok Baureihe 55.

Die letzte betriebsfähige Lok Baureihe 55.25, die 55 3433, des Bw Bremen Rbf. Foto: Alfred Schuchardt

Am Anfang stand die Agfabox

Wenn Alfred Schuchardt nicht auf dem Vereinsgelände nach dem Rechten sieht oder bei der Instandhaltung des Fuhrparks hilft, befasst er sich entweder mit seinen Enkelkindern oder mit seinem Fotoarchiv. Und das ist riesig, denn die ersten Aufnahmen gibt es noch immer. „Angefangen habe ich mit einer Agfabox“, erinnert sich Alfred Schuchardt, „mit 6 mal 6 Rollfilm.“ Währenddessen geht er die inzwischen mehr als 7.000 digitalisierten Fotos auf seinem Laptop durch.

Alfred Schuchardt bleibt bei der Aufnahme einer Dampflokomotive stehen. Aufgenommen hat er diese auf dem Gelände des Bahnbetriebswerks Bremen Rangierbahnhof, so der offizielle Name. „Die Bundesbahn-Baureihe 55.25 ist eine alte G81 der Preußischen Staatsbahn“, erläutert Adolf Schuchardt die Geschichte hinter dem Foto.

Zu seiner Leidenschaft für Züge kam er durch einen Großcousin. „Der war Straßenbahnfan“, sagt Alfred Schuchardt, „und auch Mitglied bei den Freunden der Bremer Straßenbahn.“ Zwar haben Eisen- und Straßenbahnen die gleiche Spurweite, aber die Straßenbahnen taten es dem Wahl-Stuhrer dann doch nicht so an – zumal er seine Fotomotive sozusagen gleich vor der Haustür hatte. „Wir wohnten damals in Gröpelingen. Der Bremer Rangierbahnhof war unser zweites Zuhause“, blickt Alfred Schuchardt zurück.

Dampflokomotive-Drehscheibe

Eine Dampflok der Baureihe 03 steht auf der Drehscheibe im Bahnbetriebswerk Bremen Hauptbahnhof. Foto: Alfred Schuchardt

Baureihe 01

Beim Durchschauen seiner digitalisierten Aufnahmen bleibt er bei einer „schönen 01“ hängen. Alfred Schuchardt meint die Dampflokomotiven der Baureihe 01. Sie wurden bereits ab 1925 an die Deutsche Reichsbahn (DR) ausgeliefert. Hintergrund: Die Reichsbahn benötigte damals neue Lokomotiven für die immer länger und damit auch schwerer werdenden Schnellzüge. Die vorhandenen Lokomotiven aus den früheren Länderbahnen kamen so langsam an ihre Grenzen.

Vor allem hatte jede der Länderbahnen ihre eigenen technischen Spezifikationen. Eine ehemalige preußische Lok konnte mit Teilen einer ehemaligen bayerischen, sächsischen oder württembergischen Maschine nicht repariert werden. Das war die Geburtsstunde der sogenannten Einheitslokomotiven – die „01“ führte die Reihe an.

Nach dem Zweiten Weltkrieg lief die „01“ sowohl bei der neu gegründeten Deutschen Bundesbahn (DB) als auch der Deutschen Reichsbahn der DDR. Bei der DB wurden die letzten Lokomotiven planmäßig im Betriebswerk Hof eingesetzten Ende 1973 abgestellt. Allerdings existieren noch einige, sogar betriebsfähige, Exemplare bei Museumsbahnen.

Einheits-E-Lok-E-10

Die E10 350 beim „Tag der offenen Tür“ am 14. Dezember 1964 in Bremen Hauptbahnhof. Foto: Alfred Schuchardt

Bremen unter Draht

Beim Blick auf sein Foto beantwortet Alfred Schuchardt auch gerne die Frage, wann denn wohl in der Region die Elektrifizierung kam. „Hannover kam 1961/1962 unter Draht, Bremen am 13. Dezember 1964.“ Ab dann ging die Zeit der Dampflokomotiven im Fern-, aber auch im Nahverkehr Stück für Stück zu Ende. Dafür waren zunehmend die neuen Einheits-E-Lokomotiven der Baureihen E10, E40 und E41 auf den Schienen unterwegs.

Wenn das Gespräch auf die Baureihe E41 kommt, lächelt Alfred Schuchardt. Denn: Diese Lokomotiven wurden „Knallfrösche“ genannt. „Wegen des Schaltwerks, das sich von dem der Reihen E10/E40 unterschied und beim Auf- und Abschalten ,knallende’ Geräusche von sich gab“, weiß der Stuhrer. Übrigens führte die DB 1968 eine neue Systematik ein: Aus der E41 wurde zum Beispiel die Baureihe 141.

Alfred Schuchardt hat zu jedem Foto die passende Geschichte oder Anekdote parat. Vor seiner Kamera rauschte unter anderem der D-Zug 284 München-Bremen vorbei, der ab Bremen Hauptbahnhof als zuschlagfreier Eilzug gefahren wurde. Der Zug war bespannt mit der ersten Groß-Diesellokomotive der Deutschen Bundesbahn, der V200. Auch den Trans-Europ-Express (TEE), mit dem markanten Triebwagen VT 11.5, hat Alfred Schuchardt festgehalten – ein echtes Stück technischer Eisenbahngeschichte.

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