Am Anfang stand ein 0:0

Zum Werder-Jubiläum: Erste Stadionbesuche und viele Autogramme

Von Frank Schümann

Ins Weserstadion ist der Schreiber dieser Kolumne schon des Öfteren geschlenkert. Aber wie fing das alles an? Frank Schümann erinnert sich an eine Zeit vor fast 50 Jahren.

125 Jahre Werder Bremen werden gerade gefeiert, und auch das größte mediale Sport-Organ der Stadt würdigte dieses Ereignis natürlich entsprechend – mit der Serie „Mein Werder“. Zahlreiche Fans erzählten ihre Geschichte, ein Jubiläumsmagazin erschien ebenfalls. Als ich das las, dachte ich ganz selbstbezogen: und ich? Wieso hatte mich eigentlich keiner gefragt? Ja nee, schon klar, so wichtig bin ich halt nicht. Aber wozu hat man denn eine eigene Kolumne? Also, aufschreiben, Schümann!

Mit den Bayern mitgehalten

Womit fing sie denn nun an, diese Geschichte, die große Jubelarien, aber auch einige traurige Momente und manchen Wutausbruch beinhaltete? Am Anfang stand im Februar 1976, wenige Wochen vor meinem elften Geburtstag, ein Heimspiel gegen den großen FC Bayern. Mein Onkel war mit dem Verein stark verbandelt und nahm mich und meinen Vater mit – und ich war schwer beeindruckt. Zwar endete dieses Duell torlos 0:0, aber die Atmosphäre faszinierte mich, der Marsch vom Osterdeich ins Stadion, die vielen überwiegend aufgeregten Menschen, das Flutlicht, das am späteren Nachmittag anging – meine Leidenschaft war geweckt, zumal ich ja gelernt hatte, dass der Gegner des Tages das Beste vom Besten sein sollte – und wir hatten mitgehalten! Damals ahnte ich noch nicht, dass dies eine Art Trugschluss war und zunächst bittere Zeiten auf mich zukommen sollten. Werder war zu diesem Zeitpunkt zwar schon einmal Deutscher Meister geworden (1965, in meinem Geburtsjahr), dümpelte zehn Jahre später aber in Abstiegsregionen herum – wie überwiegend im gesamten Jahrzehnt.

Ein trügerisches 5:0

Jetzt war meine Liebe erst einmal entfacht – und sie sollte stetig wachsen. Seit diesem Nachmittag verfolgte ich an jedem Spieltag die Ergebnisse, ging auch noch einige weitere Male mit Vater und Onkel ins Stadion – und im Sommer 1978, mit mittlerweile 13 Jahren, erstmals auch alleine. Gemeinsam mit meinem jüngeren Bruder, für den ich die Verantwortung trug, sah ich unter anderem ein ungefährdetes 5:0 in der ersten DFB-Pokal-Hauptrunde gegen den SV Holzwickede (noch so ein Irrläufer …) und im Oktober ein 1:1 gegen den FC Bayern: Franz Hiller brachte unsere Farben früh in Führung, Wolfgang Rausch glich in der zweiten Halbzeit aus – und Gerd Müller verschoss noch einen Elfmeter. Dennoch: ein gutes Spiel von Werder.

Ein besonderer Sommer

Zu diesem Zeitpunkt durfte ich bereits einen für mich besonderen Sommer erleben: Ich hatte die damals noch komplett öffentlichen Werder-Trainings für mich entdeckt und radelte in meinen Sommerferien, in denen wir wegen eines anstehenden Umzugs erstmals nicht wegfuhren, jeden Tag von Walle aus an der Weser entlang zum Stadion, wo die Profis auf einem Nebenplatz trainierten. Da sah ich sie dann alle aus der Nähe: den Torwart und Nationalspieler Dieter Burdenski (der gerade von der WM in Argentinien zurückgekommen war), den dänischen Libero Per Roentved, den aus Essen gekommenen Neuzugang Uwe Reinders, der später noch durchstarten sollte, Mittelfeldmotor Jürgen Röber und alle anderen aus dem damals nur 18 Spieler umfassenden Kader. Trainer war der Ex-Nationalspieler Wolfgang Weber.

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Als „Budde“ nicht unterschrieb

Ich hatte mir – wie viele andere Jungens auch, mit denen ich mich schnell anfreundete – eine grüne Werder-Mappe gebastelt, in die ich jedes Foto von Werder-Spielern einklebte, das ich in den Zeitungen finden konnte; diese ließ ich dann von den Profis unterschreiben (die Mappe habe ich übrigens noch immer). Ich erinnere mich, dass „Budde“ ein Bild nicht unterschreiben wollte, weil er bei dem Tor, das er da gerade kassiert hatte, nicht so gut aussah. Einige zeigten sich beim Autogramme geben sehr freundlich und geduldig – allen voran Jürgen Röber und Benno Möhlmann, der in diesem Sommer neu dazustieß und noch Preußen Münster-Autogrammkarten dabeihatte, andere waren kürzer angebunden. In bester Erinnerung habe ich noch, dass wir von unserem Wartepunkt aus mittels der Spieler-Frisuren immer einigermaßen gut erahnen konnten, wer gerade unter der Dusche stand – und entsprechend wussten, wer in etwa wann herauskommen würde. Nobert Siegmann, der später mit seiner Attacke gegen Ewald Lienen traurige Berühmtheit erlangte, kam fast immer als letzter, nahm sich für uns Kids dann aber auch immer viel Zeit.

Johnny Otten nahm sich Zeit

Es war ein wunderbarer Sommer. Meine Werder-Zeit sollte allerdings erst einmal kürzer geraten – denn wir zogen im gleichen Herbst aufs Land, wo meine Eltern ein Haus gebaut hatten. Die Stadionbesuche wurden entsprechend seltener, zumindest bis ich „flügge“ wurde und selbst mit dem Auto nach Bremen fahren konnte. Einmal besuchte ich mit einem Freund allerdings noch das Werder-Training von Hagen im Bremischen aus, meiner neuen Heimat – mit Johnny Otten spielte immerhin ein ehemaliger Hagener im aktuellen Werder-Team, und der nahm sich für uns B-Jugendliche des Hagener SV auch ein bisschen Zeit.

Samstagnachmittag „gesetzt“

Bis ich den Führerschein hatte, erlebte ich die bitteren ebenso wie die schönen Momente aus der Ferne – wie überhaupt die Werder-Spieltage immer für mich immer gesetzt waren, ob ich nun vor dem Radio saß, vor dem Video-Text oder via Premiere oder Sky live zuschaute. Verabredungen am Samstagnachmittag mochte ich daher gar nicht (das ist bis heute so), und auch meine nicht Fußball-affinen Freunde lernten irgendwann, dass man mich zu den Zeiten eines Werder-Spiels besser nicht anruft.

Eine fliegende Fernbedienung

Ein Freund erschreckte mich jüngst mit der Aussage, dass sein ältester Sohn – mittlerweile fast so groß wie er – immer noch zusammenzuckt, wenn er meinen Namen hört. Angeblich habe ich beim gemeinsamen Werder-Gucken einmal eine Fernbedienung geworfen – „und damit hast Du eine nachhaltige Erinnerung geschaffen“, sagt Christopher grinsend. Na toll. Ein gewisses Wut-Potenzial hatte diese Liebe schon immer beinhaltet: Ich erinnere mich an Werders ersten Abstieg 1980, als ich im Kinderzimmer meines Bruders randalierte, mit dem ich gemeinsam vor dem Radio saß (ja, damals war das noch so).

Ein erleichterter Kutzop

Aber es gab eben auch die vielen schönen Momente: den Wiederaufstieg im Jahr darauf, grandiose Europapokal-Abende, die Meisterschaft 1988, als ich als Volontär des Delmenhorster Kreisblattes mit meinem Kumpel und Kollegen Guido zum Bremer Flughafen fuhr, um über den Empfang für die Mannschaft zu berichten, die tags zuvor in Frankfurt den Titel klar gemacht hatte – und uns ein nicht mehr ganz nüchterner Michael Kutzop fast um den Hals fiel. Der hatte zwei Jahre zuvor einen Elfmeter nur an den Pfosten gesetzt und damit die Meisterschaft versemmelt. Entsprechend erleichtert war er jetzt – und wir waren dabei. Oder der Europapokal-Sieg im Jahre 1992, den ich nach einem Umzug aus Ostwestfalen mit Freunden in meinem alten Jugendzimmer in Hagen verbrachte, das Double 2004 oder auch den Nichtabstieg 2015, den ich mit einem 1:0 über Frankfurt am letzten Spieltag im Stadion live miterlebte – wie so viele Spiele.

Werder war immer dabei

Werder war immer dabei, zahlreiche persönliche Ereignisse sind bis heute mit diesem Club verbunden – und wenn ich heute aus dem Fenster schaue, sehe ich sogar das Flutlicht des Stadions! Nur eines muss zwingend besser werden – ich möchte mich weniger aufregen, Fernbedienungen sollten nicht mehr fliegen. Es wäre schön, wenn die „grün-weiße Liebe“ mit guten Ergebnissen dazu beiträgt.