Danzig: Mund auf und wieder zu

Wo anfangen? Diese Frage begegnet einem bei einem Besuch von Bremens Partnerstadt Danzig ständig. Zu entdecken gibt es viel – auch nach dem zigsten Besuch, und das nicht nur in der Stadt.

Von Ulf Buschmann

Es ist der zigste Besuch in Danzig. Der Rundgang führt zunächst über die vertrauten Pfade: Langgasse, Marienkirche, Speicherstadt. Doch ein Besuch im Danziger Museum, das mit seinen vielfältigen und faszinierenden Orten lockt, stand bisher nicht auf der Agenda. Die einheimische Begleiterin schaut völlig erstaunt: „Du warst noch nie im Rathaus? “ Ein Kopfschütteln des Gegenübers aus Bremen. Diese (Bildungs-)Lücke soll gleich nach Weihnachten geschlossen werden. Klar, dass die Begleiterin, die sich durch ihre jahrelange Tätigkeit als Reiseleiterin bestens auskennt, wertvolle Tipps parat hat.

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Kaum zu glauben, dass diese Häuser nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nur noch ein Trümmerhaufen waren. Foto: Buschmann

Das Rechtsstädtische Rathaus an der Langgasse, der Dugla, beherbergt auf drei Etagen das Danziger Museum. Das Erdgeschoss ist den Werken eines berühmten Danziger Malers gewidmet – dem Besucher jedoch ist dieser Mann völlig unbekannt. Es handelt sich um Reinhold Bahl, 1869 in der Stadt geboren und dort 1945 verschollen. „Niech zyje Bahl – (Nie) zapomnie malerz gdanski“ heißt diese Ausstellung, die auch einen englischsprachigen Untertitel trägt: „Long live Bahl – The (un-) forgotten painter of Gdansk“. In seinen Gemälden, die vor allem aus privaten Sammlungen stammen, hat der Künstler den Alltag des alten Danzig vor 1945 festgehalten.

Immer wieder tauchen heute noch insbesondere bei Touristen beliebte Orte, Motive und Stadtansichten auf – die Marienkirche etwa. Sie ist so etwas wie der Mittelpunkt von Bahls Schaffen. Doch nicht nur das, der Künstler hat das Leben in der alten Hansestadt in seiner ganzen Breite dargestellt. Ein Kind seiner Zeit eben, das jedoch außerhalb Polens komplett in Vergessenheit geraten ist. Was aus ihm wurde, ist bis heute nicht bekannt. Bahl wurde zehn Jahre nach seinem Verschwinden in den Wirren der Nachkriegswochen in Essen offiziell für tot erklärt.

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Steile Treppen zu historischen Räumen

Weiter geht die Entdeckungstour durch dieses prachtvolle Haus, das jedoch eine entscheidende Schwäche aufweist: Es ist nicht barrierefrei. Wer sich für Danzig und seine Geschichte interessiert, sollte demnach nicht auf einen Rollstuhl angewiesen sein. Auch kleinere Gelenkprobleme könnten bei den steilen Treppen zur Herausforderung werden. Doch hat man erst einmal den ersten Stock erklommen, wird man für seine Mühen reichlich belohnt: Eine atemberaubende Pracht entfaltet sich vor den Augen des Besuchers.

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Unglaublich prunkvoll sind der Weiße Saal und andere Räume des Rechtsstädtischen Rathauses. Foto: Buschmann

Da ist zum Beispiel der imposante „Weiße Saal“. Einst diente er vor allem der Repräsentation, aber auch als Gerichtssaal. Wie vieles Historische wurde der „Weiße Saal“ 1945 zerstört und später rekonstruiert. Die aktuelle Einrichtung stammt aus verschiedenen Epochen, wie der Besucher erfährt. Doch noch prunkvoller ist der „Rote Saal“, auch bekannt als Ratssaal oder Sommersaal. So viel Glanz und wunderschöne Verzierungen – kaum zu glauben, dass auch dies alles durch den Krieg zerstört wurde.

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Eine Karte im Museum zeigt die Grenzen der Freien Stadt Danzig von 1920 bis 1939. Foto: BUschmann

Die Freie Stadt Danzig

Wer sich mehr für die Zeitgeschichte interessiert, muss erneut steile Treppen erklimmen. „Hier wird es wirklich spannend“, entfährt es dem Besucher, der zugegebenermaßen mit Bildender Kunst und Malerei, wie sie unten vorherrscht, nicht allzu viel anfangen kann. Mit den knapp zwei Jahrzehnten beziehungsweise dem Thema im dritten Stock, der „Freien Stadt Danzig“, kann er schon mehr anfangen. Diese war ein Produkt des Friedensvertrags von Versailles: Die nach dem Ersten Weltkrieg wieder gegründete Republik Polen verfügte über keinen Zugang zum Meer. Deshalb verfügten die Siegermächte: Danzig wird Freie Stadt, die Polen erhalten ihre eigene Verwaltung und somit Zugang zu einem Hafen.

Von 1920 bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs gab es in Danzig unter anderem eine eigene Post, eigene Schulen und Vereine. Unter der Aufsicht des Völkerbundes entwickelte die Freie Stadt eine Art staatliches Eigenleben – eigene Währung inklusive. Von 1920 bis 1923 war der geschaffene Danziger Gulden an die Mark gebunden. Doch wegen der Inflation in Deutschland entschied die Stadtregierung, die eigene Währung ans Pfund Sterling zu koppeln. Der Besucher staunt über die museumspädagogisch zwar nicht mehr zeitgemäße Ausstellung. Gleichwohl vermittelt sie einen faszinierenden Einblick in den Alltag zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg.

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Im Museum oben im Museum des Rechtsstädtischen Rathauses sind Alltagsszenen von vor 1945 dargestellt. Foto: Buschmann

Zerstörung und Rekonstruktion

Ein Schwerpunkt des Museums ist der Wiederaufbau Danzigs nach den schweren Zerstörungen von 1945. Dies thematisieren die Verantwortlichen nicht nur im Rechtsstädtischen Rathaus, sondern vor allem im Vorturm am Anfang der Langgasse. Eintauchen kann in dieses Kapitel der Geschichte, wer am Automaten eine Eintrittskarte gelöst hat. Hier gilt wie im Rathaus: Rollstuhlfahrer und Menschen mit Gelenkproblemen sind angesichts der steilen, engen Wendeltreppe außen vor. Trotzdem lohnt sich der Besuch.

Die Macher zeigen zum Beispiel verkohlte Ziegelsteine, Reste von Skulpturen und vieles mehr. Allein dies reicht, um sich ein Bild von der Geschichte des Wiederaufbaus zu machen. Besonders spannend wird es beim Anschauen der alten Wochenschau-Dokumentationen. Hier trieft sozialistisches Gedankengut aus jedem Schaltkreis der Monitore. Schade nur, dass das alles komplett auf Polnisch ist. Da empfiehlt sich die Mitnahme eines Audioguides – oder eine spätere Recherche im Internet.

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Die alte Hansestadt war am Ende des Zweiten Weltkriegs zu fast 50 Prozent zerstört. Foto: Unbekannt

Schön beschrieben ist diese Zeit des Wiederaufbaus unter kulturforum.info. Auszüge: „Leicht hätte Danzig dasselbe Schicksal treffen können wie Königsberg, das im Zuge des Wiederaufbaus mit sozialistischer Einheitsarchitektur seinen vormaligen Charakter völlig verlor und damit – letztlich folgerichtig – seinen bisherigen offiziellen deutschen Namen. Auch für Gdańsk gab es ähnliche Vorstellungen, in der ehemaligen historischen Innenstadt uniforme Wohnblöcke für die Arbeiter der Lenin-Werft zu errichten. Insbesondere die sowjetische Besatzungsmacht propagierte ein solches Vorgehen. Doch hiergegen regte sich polnischer Widerstand, den vor allem zwei Motive leiteten.

„Geschlossenes und historisch angelehntes Stadtbild

Zum einen waren sich die aus Ostpolen zugezogenen neuen Bürger und die wenigen verbliebenen polnischen Danziger darüber einig, dass ein geschlossenes und historisch angelehntes Stadtbild Akzeptanz, Integration und Zusammenleben fördern und stabilisieren würde. Zum anderen stand diese Vorgehensweise schon deshalb, weil sie im Gegensatz zu den städtebaulichen Absichten der Sowjets stand, die als Besatzungsmacht auftraten und im Lande ein brutales Unterdrückungssystem stalinistischer Prägung etabliert hatten.

So begann bereits in den vierziger Jahren der Wiederaufbau Danzigs angelehnt an das historische Stadtbild. Alte Fotografien, Pläne aus Archiven, vor allem aber auch Kunstwerke und das Gedächtnis mancher Einwohner bildeten die Grundlagen zur Rekonstruktion von Gebäuden, Straßenzügen und Plätzen. Jedes noch so kleine Trümmerstück der ursprünglichen Bausubstanz wurde akribisch gesucht, wiederhergestellt und verwendet. Dennoch entstand hinter den authentisch wirkenden Fassaden ein neues Danzig: Kleine, nutzbare und beheizbare Wohnräume entstanden anstelle der ehemals repräsentativen Bürgerstuben, Straßenverläufe wurden geändert, um Licht für die Bewohner zu schaffen, und wo es keine Zeugnisse mehr gab, ersetzten stilistisch ähnliche Schöpfungen die ehemaligen Fassaden und Gebäude. Auf diese Weise schufen sich die neuen Danziger ihre ganz eigene Stadt, auf die sie mit Recht als einzigartige Aufbauleistung stolz sind. Sie ist bis heute ein markantes Zeichen des polnischen Widerstands gegen die Sowjetmacht, des praktischen Bürgersinns in einer elementaren Notzeit und der souveränen Aneignung eines beeindruckenden Erbes, von dem nur Trümmer geblieben waren. (…)

Die Ausstellung im Vorturm befasst sich mit dem Wiederaufbau des Danziger Kerns ab 1947. Repro: Buschmann

Die neuen Danziger gaben ihrer Stadt wieder ein Gesicht und der Königin der Ostsee neue, prächtige Kleider. Gdańsk wurde so im Laufe der Jahrzehnte wieder zu einer der schönsten Metropolen des Ostens. Trotz Krieg und deutscher Besatzungszeit ließen die polnischen Einwohner sich dabei maßgeblich vom Respekt vor der jahrhundertealten deutsch geprägten Kultur und Geschichte Danzigs leiten, zu der stets auch das Bewusstsein für hanseatische Ehre und Freiheitsliebe gehört hatte. Zugleich schufen sie ihre ganz eigene Stadt, Gdańsk, die Stadt der heroischen Streiks gegen das kommunistische Regime, die Stadt der Gewerkschaftsbewegung Solidarność, die Stadt, von der das Ende der kommunistischen Regime des ehemaligen Ostblocks ausging. Danzig und Gdańsk – eine Stadt – auf die man stolz sein kann.“

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Die Kathedrale im Danziger Stadtteil Oliwa verfügt über das längste Kirchenschiff Polens. Foto: Buschmann

Der Dom mit dem längsten Schiff

Am Wochenende nach Weihnachten gibt es in Polens Stadtteil Oliwa etwas Außergewöhnliches zu entdecken: den Dom mit dem längsten Kirchenschiff des Landes. Eigentlich sollte heute ein Orgelkonzert stattfinden, doch die Konzerte beginnen erst wieder im Januar. Dennoch lohnt sich der Besuch auch ohne musikalische Untermalung. Diese Kathedrale, offiziell „Kirche zur heiligen Dreifaltigkeit, heiligsten Jungfrau Maria und Hl. Bernardus“, ist schlichtweg atemberaubend. Trotz der vielen Menschen, die an diesem Sonntag aus unerklärlichen Gründen hier sind, beeindruckt die Ausstattung des Gotteshauses auf ganzer Linie.

Das Gotteshaus ist eine dreischiffige Basilika mit Querschiff und einem mehreckigen Chor mit Chorumgang. Die Fassade wird von zwei schlanken Türmen flankiert, die jeweils 46 Meter in die Höhe ragen und mit spitzen barocken Helmdächern gekrönt sind. Der Eingang führt durch ein barockes Portal aus dem Jahr 1688. Mit einer Gesamtlänge von 107 Metern (Außenmaß) und 97,6 Metern (Innenmaß) ist es das längste Zisterzienser-Kirchengebäude der Welt.

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In den französischen Gärten neben der Kathedrale Oliwa lässt es sich aushalten – auch bei Schmuddelwetter. Foto: Buschmann

Die Begleiterin weist auf die Orgel hin: Diese erklingt an drei verschiedenen Stellen der Kirche. So erlebte man früher Surround-Sound, nur ohne Dolby. Dieser Gedanke schießt einem sofort durch den Kopf. Leider ist die weihnachtliche Illumination an diesem Tag noch nicht eingeschaltet, es ist noch zu früh. Doch der kurze Spaziergang durch die Gartenanlage entschädigt dafür. „Die Gärten sind nach dem Vorbild von Versailles angelegt“, erklärt die Begleiterin. Zwar ist im Winter alles kahl, doch wer sich Zeit nimmt, kann sich leicht vorstellen, wie prachtvoll es hier im Frühjahr und Sommer sein muss. Auch der Blick auf das große Herrenhaus, das ein Museum beherbergt, ist imposant: Eine große Freitreppe führt hinunter in den Garten und lädt förmlich zum Lustwandeln ein.

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Direktorin Barbara Kąkol ist stolz auf die kaschubische Kultur und ihr Museum. Foto: Buschmann

Kartuzy, Hauptstadt der Kaschubei

Wer in Danzig verweilt, wird früher oder später der kaschubischen Kultur begegnen – gilt doch die Ostseemetropole als deren Hauptstadt. „Kaschuben entstammen direkt aus der Gruppe der slawischen Stämme, die Pomoranen genannt werden“, heißt es auf dem Portal Szwajcaria Kaszubska. Heute leben die Angehörigen dieses Volksstammes von der Halbinsel Hel in südwestlicher Richtung bis nach Kornanzyny, aber auch in Danzig, Gdynia und Sopot. Als Hauptstadt der Kaschubei gilt die Kreisstadt Kartuzy. Es ist ein kleiner, aber charmanter Ort.

Natürlich gibt es dort das kleine, aber sehr feine Kaschubische Museum. Es wurde am 1. Mai 1947 von Franticek Treder gegründet. Zum 1. Januar 1950 wurde das Museum wie alle anderen in Polen verstaatlicht. Seit 1995 trägt das Kaschubische Museum den Namen seines Gründers. Diese Einrichtung sollte auf keinem Reiseplan fehlen. Leider sind fast alle Erklärungen der Exponate auf Polnisch und nur ein kleiner Teil auf Englisch, aber das mindert nicht die Möglichkeit, tief in das Selbstverständnis und die Kultur der Kaschuben einzutauchen. In der über zwei Stockwerke führenden Ausstellung gibt es Einblicke in die vielfältigen Facetten des Alltags.

Kaschubei, Kaschubisches Museum

Kaschubische Trachten für Frau, Mann und Kind. Foto: Buschmann

Mit der Wende hat eine Rückbesinnung auf die Kultur und die kaschubische Sprache eingesetzt. Seit den 1990er-Jahren pflegen die Menschen im Landstrich westlich von Danzig ihre Eigenständigkeit wieder. Es gibt kaschubische Stickereien, Malerei und sogar Schnupftabak. Kaschubisch wird seit einigen Jahren zudem wieder in der Oberschule als eigene Sprache unterrichtet. Darauf sowie auf die gesamte Entwicklung ist Barbara Kąkol, Direktorin des Kaschubischen Museums, besonders stolz. Schon die Grundschulkinder bekommen in Workshops erste Einblicke in die Kultur ihrer Eltern und Großeltern. Und nicht nur das. Nach Auskunft von Kąkol gibt es zahlreiche Organisationen und Institutionen, die sich für die Belange dieses Volksstamms einsetzen. „Die größte ist der Verein Kashubia-Pomorskie in Gdansk“, sagt die Museumsdirektorin.

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Wie bei der DB: Mit dem Zug nach Elbląg

Wer sich einmal in Danzig aufhält, sollte die Gelegenheit nutzen, auch andere Städte zu erkunden. Nach reiflicher Überlegung fiel die Wahl auf Elbląg. Diese Stadt, die bis 1945 Elbing hieß und heute etwa 120.000 Einwohner zählt, war einst einer der bedeutendsten Häfen an der Ostseeküste. Heute jedoch schlummert sie in einer Art Dornröschenschlaf, was vor allem an der unzureichenden Tiefe des Hafens und des Kanals zur Ostsee liegt. Doch dazu später mehr.

Wer von außerhalb Danzigs nach Elbląg reisen möchte, sollte seine Zugfahrt gut planen. Verschiedene Apps bieten hier wertvolle Unterstützung, um die passenden Verbindungen zu finden und gleich zu bezahlen. An diesem Sonntagmorgen beginnt die Reise um 9.16 Uhr in Otomino, einem Ortsteil der Stadt Zukowo, mit dem Zug nach Gdansk-Wrzeszcz (Danzig-Langfuhr). Von dort aus soll es um 9.53 Uhr mit dem Intercity nach Malborg weitergehen. Eigentlich. Doch der geneigte Nutzer des Angebots der Deutschen Bahn fühlt sich kurz nach dem Ausstieg an die Heimat erinnert – der Zug wird zunächst mit zehn, am Ende mit 23 Minuten Verspätung angekündigt.

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Die berühmte Marienburg in Malborg. Vor dem Tor ist auf dem Foto der Zerstörungsgrad 1945 und der heutige Zustand zu sehen. Foto: Ulf Buschmann

75 Minuten Malborg

Der Anschlusszug von Malborg nach Elbląg ist weg, und der nächste Zug rollt erst knapp 75 Minuten später ein. Was tun an einem kalten Sonntagmorgen bei -3 Grad, wenn die Stadt noch schläft? Eine kurze Fotosession bietet sich an. Die berühmte Marienburg, der größte Backsteinbau Europas, liegt zumindest in Sichtweite. Und wie sich herausstellt, ist die Burg, einst Sitz des Deutschen Ordens, auch in Laufweite des Bahnhofs. Doch die Kälte und der Wind treiben einen bald zurück zum Bahnhof – ein wunderschöner, detailreicher Bau aus dem späten 19. Jahrhundert. Damals hieß Malborg Marienburg und gehörte zum Deutschen Kaiserreich, das vor allem im neoklassizistischen Stil baute.

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Der Bahnhof Malborg ist ein Zeugnis neoklassistischen Baustils des 19. Jahrhunderts. Er wurde liebevoll saniert. Foto: Ulf Buschmann

Endlich in Elbing angekommen

Aber wo bitte geht’s zum Stadtzentrum? In einiger Entfernung ist immerhin der Turm der St. Nikolai-Kirche zu sehen. Das Beste: Erstmal den anderen Reisenden vom Bahnhof aus zur nächsten Straßenbahnhaltestelle folgen und sich durchfragen. Ein netter Mensch zeigt dem Reisenden mit einigen Brocken Englisch den Weg ins Stadtzentrum. Elbląg hat eine wechselvolle Geschichte, am sichtbarsten sind jedoch die Spuren vom April 1945.

Wegen seiner strategisch wichtigen Lage erging es der Stadt wie vielen anderen: Hitler ließ Elbing zur Festung erklären. Bereits im Januar 1945 verließ der Großteil der Einwohner die Stadt; um den 23. des Monats begann die Belagerung durch die Rote Armee. Die Verteidiger kapitulierten am 10. Februar. Rund 60 Prozent der Gebäude lagen in Schutt und Asche, fast alle Baudenkmäler waren schwer beschädigt. Etwa 5.000 deutsche Soldaten fielen bei der Verteidigung Elbings, und viele Zivilisten ertranken bei der Flucht im Frischen Haff.

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Blick ins Stadtzentrum von Elblag mit dem Markttor, dem letzten Überbleibsel der Stadtmauer aus dem 14. Jahrhundert. Foto: Ulf Buschmann

Die Stadt erlaufen

Die Lücken durch den Beschuss lassen sich bis heute erahnen: Zwischen den historischen Gebäuden sind in den vergangenen Jahrzehnten mehr oder weniger gelungene Neubauten entstanden – einiges wirkt historisierend, anderes eher lieblos. Wer Elbląg im Winter entdecken möchte, kann es zumindest zwischen Zentrum und Bahnhof gut erlaufen. Allerdings muss sich jeder Besucher darauf einstellen, keine Informationen vor Ort zu bekommen. Die Touristinfo ist an diesem Sonntagnachmittag geschlossen.

Also runter zum Fluss. Der heißt wie die Stadt. In Sichtweite ist der bereits erwähnte Hafen. Dessen Zukunft war vor gut zwei Jahren (wieder) Gesprächsthema. Die Hafenwirtschaft erhofft sich ein wirtschaftliches Aufblühen und ein Anknüpfen an die guten Zeiten, als die in der Stadt gegründete Schichau-Werft und die örtliche Brauerei florierten.

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Imposant: die St.-Nikolai-Kirche. Foto: Ulf Buschmann

Der Hafen und der Kanal durchs Haff

Am 17. September 2022 wurde ein Projekt eröffnet, dessen Pläne bis ins Jahr 2006 zurückreichen. Von Elbląg führt ein rund einen Kilometer langer Kanal durch das Frische Haff, eine der Ostsee vorgelagerte Lagune. Problematisch sind die Pläne, weil die Natur vor Ort geschützt ist – Naturschützer liefen Sturm dagegen. Trotz aller Proteste, auch der Europäischen Union, zog Polen seinen Plan durch. Die Gründe dafür sind angesichts der russischen Bedrohung nicht von der Hand zu weisen. Zumal sich beide Völker beziehungsweise Staaten nicht mögen.

Das polnische Elbląg hatte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs keine direkte Verbindung mehr zum offenen Meer. Schiffe mussten durch den natürlichen Zugang auf russischer Seite bei Baltijsk. Damit waren die Polen über Jahrzehnte vom Wohlwollen zuerst der Sowjetunion, später dann Russlands abhängig. Um sich von Russland unabhängig zu machen, hat Polen rund zwei Milliarden Złoty, etwa 500 Millionen Euro, investiert und die Bagger anrücken lassen.

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Der Hafen von Elblag war bis 1939 einer der bedeutendsten an der deutschen Ostseeküste. Seit Jahren ist er im Dornröschenschlaf, das soll sich mit dem neuen Kanal durchs Frische Haff ändern. Foto: Ulf Buschmann

Feederverkehre und Tourismus

Mehrere Medien, darunter der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR), haben sich mit dem Thema beschäftigt. Der Sender zitiert Arkadiusz Zgliński, den Hafenchef von Elbląg. Er und andere Verantwortliche hoffen auf eine Vervier- oder sogar Verfünffachung des Umschlagsvolumens. Zgliński setzt insbesondere auf Feederverkehre zwischen Danzig und Elbing. „Der Hafen von Elbing könnte in Zukunft Schiffe mit bis zu 4,5 Metern Tiefgang und 5.000 Tonnen Tragfähigkeit aufnehmen“, schreibt der MDR. Und: „Allerdings bleibt das vorerst nur eine Vision, denn es gibt einen Flaschenhals – die Fahrrinne und die Hafeneinfahrt sind für derart große Schiffe zu seicht. Sie könnten zwar durch den neuen Kanal ins Frische Haff einlaufen, würden aber kurz vor Elbing auf Grund laufen.“

Dass im Hafen von Elbing noch Platz nach oben ist, lässt sich von weitem erahnen: Zumindest von den modernen Brücken über die Elbing ist kein einziges Schiff zu sehen. Das Wasser ist ruhig, nur einige Winterbader sorgen für kleine Wellenbewegungen.