Links und rechts der 652

Lakellen und Chelchen oder auf Polnisch: Lakiele und Chełchy. Es sind zwei unscheinbare Orte in Masuren. Aber es sind wichtige Orte. In Lakiele wurde Otto Buschmann geboren. Er ist der Großvater unseres Autors Ulf Buschmann. Er war vor Ort – Teil vier unserer Reihe über die Suche nach den Ahnen. Diese Recherche wird durch das Programm NEUSTART KULTUR der Bundesregierung und der VG Wort unterstützt.

Von Ulf Buschmann

Wie es wohl aussieht, dieses Lakellen, das heute Lakiele heißt? Es ist ein Ort nicht weit entfernt von der Grenze zu Litauen. 71,4 Kilometer beträgt die Entfernung laut Google Maps-Routenplaner. Auch die russische Exklave, das Oblast Kaliningrad, ist nicht weit. Der Weg nach Lakiele führt über die polnische Fernstraße 65. Die Navi-Stimme schickt den Fahrer nach rechts auf die „652“. Nach drei Kilometern ist das Ziel erreicht. Dort also wurde Otto Buschmann am 29. August 1906 geboren. Auch sein Vater, Gustav Buschmann, hatte dort am 23. Dezember 1877 das sprichwörtliche Licht der Welt erblickt. Gestorben ist Gustav Buschmann vermutlich am 24. Dezember 1919. Die Aufzeichnungen des Familienstammbuchs sind nicht eindeutig zu entziffern.

Otto Buschmann tanzt.

Otto Buschmann, hier bei einer Feier Anfang der 60er-Jahre, wurde in Lakellen geboren. Repro: Ulf Buschmann

Bei der Geburt und an seinem Todestag muss es windig und kalt gewesen sein. Denn Masuren liegt in der feucht-kontinentalen Klimazone. Zwar haben die Plus-Temperaturen den Schnee der Weihnachtstage tauen lassen. Doch zugig ist es auf den Hügeln doch. Straßennamen gibt es in Lakiele nicht. Wer jemanden sucht, muss sich an einer großen, am Rand der 652 aufgestellten Tafel orientieren. Die Häuser sind durchnummeriert.

Keine Menschen zu sehen

Wo Otto und vielleicht auch Gustav Buschmann geboren wurden und aufwuchsen, lässt sich an diesem grauen Januartag nicht herausfinden. Menschen sind nicht auf der Straße oder vor ihren Häusern. Diese schmiegen sich eng an die typische masurische Hügellandschaft. Hin und wieder ist das Bellen eines Hundes zu hören. Ansonsten wirkt dieser Ort wie ausgestorben. Aber immerhin: Wer Lakiele besucht, bekommt einen Eindruck davon, wie die Menschen hier zwischen der zweiten Hälfte des 19. und den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gelebt haben müssen.

Blick auf einen Ort in Masuren mit Häusern.

Blick auf die Häuser in Lakiele. Foto: Ulf Buschmann

Von der „652“ zweigen zwei schmale Straßen ab; an der einen befindet sich die Informationstafel. Sie zeigt, wo welche Häuser stehen. „Lakiele 1“ steht zum Beispiel auf der anderen Seite der „652“. Es ist giftgrün angestrichen. „Lakiele 1“ ist heute ein Wohnhaus. Vor Jahrzehnten könnte es das Haus einer Bauernfamilie oder eines Knechts und seiner Familie gewesen sein.

Durch die Seenlandschaft

So ist es mit den meisten Häusern hier. Nur vereinzelt gibt es noch Landwirtschaft. Und wenn doch, wirken die Höfe nicht allzu groß. In Deutschland würden die Eigner wohl eher Nebenerwerbs-Landwirtschaft betreiben. Die Felder um die Anwesen wirken trotz des grauen Tages ohne Sonne reizvoll. Die masurische Landschaft ist eben etwas Besonderes – ein Umstand, der schon auf der Fahrt dorthin von Danzig aus auffällt.

Hügellandschaft in Masuren

Der kleine Ort liegt eingebettet in die masurische Landschaft. Foto: Ulf Buschmann

Die Route führt von Gdansk aus über Elbląg, dem früheren Elbing, über Ryn nach Olsztyn. Bis zu dem Ort, der bis 1945 Allenstein hieß, gibt es eine Autobahn. Hinter der Stadt geht es auf zum Großteil kurvenreichen Landstraßen weiter. Spätestens jetzt erschließen sich dem Reisenden die landschaftlichen Reize. Denn: Der Weg nach Lakiele führt nicht nur entlang der masurischen Seenplatte, sondern mitten durch sie hindurch. Eines der Highlights auf der Strecke ist Ryn. Die Stadt hieß bis 1945 Rhein. Vor allem das Schloss ist imposant.

Das kleine Feuerwehr-Gerätehaus

Zurück nach Lakiele: Der Ort ist in gut einer halben Stunde erkundet. Die schmale Straße auf der einen Seite der „652“ führt nach knapp einem Kilometer zum Ortsausgangsschild. Rechts befindet sich das kleine Gerätehaus der Ortsfeuerwehr. Dies ist für polnische Verhältnisse ungewöhnlich: Im Gegensatz zu Deutschland, Österreich und der Schweiz sind Feuerwehren auf dem Land beim östlichen Nachbarn rar.

Die Straße auf der anderen Seite der „652“ ist noch kürzer: Nach 400 Metern endet diese am Ortsausgangsschild. Der Belag geht von Asphalt in Lehm über. Aber der Blick hinunter in die Ebene in Richtung des Nachbarortes Kucze ist atemberaubend. Im Sommer ist es sicherlich eine schöne Gegend.

Ein Feuerwehrhaus in Masuren.

Ungewöhnlich: Lakiele hat eine Feuerwehr. Foto: Ulf Buschmann

In Chełchy

Nichtsdestotrotz muss es schon zu Lebzeiten von Gustav und Otto Buschmann ein karges Leben in Lakiele gewesen sein. Wie sonst ist es zu erklären, dass es Gustav Buschmann nach Chelchen zog? Es ist der Geburtsort von Ida Buschmann, geborene Robak. Sie, Otto Buschmanns Mutter, war dort am 2. April 1886 zur Welt gekommen. Heute heißt der Ort Chełchy.

Eine Kirche in einem masurischen Dorf

Die recht neue Kirche in Chelchen. Foto: Ulf Buschmann

Hinweise auf die Familie sind bei diesem spontanen Besuch nicht zu finden. Doch von Weitem fällt die recht neue Kirche auf. Die Architekten haben sich an die auch für Masuren noch immer typische Backstein-Bauweise gehalten. Es ist natürlich ein katholisches Gotteshaus. Die Spuren der deutschen Bewohner sind seit 1945, als Masuren im Zuge der Westverschiebung des Landes zu Polen kam, verschwunden.

Gut 200 Meter von der Kirche entfernt schlängelt sich der Fluss Ełk träge durch seine Aue. Einige Brückenpfeiler knarren im Wind. Hin und wieder begegnen einem Menschen. Doch ein Gespräch kommt nicht zustande. Hier spricht keiner Englisch. Auf der entgegengesetzten Seite der Straße, an der Kirche links herum, erstreckt sich ein Wohngebiet. Es sind Häuser, wie sie vielfach im Polen der 60er- und 70er-Jahre errichtet wurden. Vor einem kleinen Dorfladen stehen ein paar Männer herum. Mehr geschieht auch hier an diesem Januartag nicht.

Lakiele

Lakiele (ehemals Łakiele, deutsch Lakellen, seit 1938 Schönhofen) ist ein Dorf in der Woiwodschaft Ermland-Masuren. Es liegt in der Gemeinde Kowale Oleckie, im Kreis Olecki. In den Jahren 1975 bis 1998 gehörte Lakiele zur Provinz Suwałki. In den Jahren 1999 bis 2001 war das Dorf Teil des Kreises Olecko-Gołdap, das im Jahr 2010 genau 161 Einwohner hatte. Es gibt einen Gemeinderat, der für die beiden Dörfer Lakiele und Kucze zuständig ist. Bürgermeisterin ist Iwona Bach-Milewska.

Auf der Suche nach den Ahnen

In unserer Reihe dokumentieren wir die Ahnenforschung unseres Autors Ulf Buschmann. Bislang erschienen sind:

Dieses Projekt wird unterstützt durch das Programm NEUSTART KULTUR der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und durch die VG Wort.