Helfen statt entsorgen

Der „Verein Hilfe und Tat“ aus Ottersberg sammelt Spenden für bedürftige Menschen im ehemaligen Ostpreußen. Der nächste Transport rollt voraussichtlich Mitte April.

Von Daniela Krause

Dreckige Unterwäsche, eine Sex-Gummipuppe, ein Elektroschocker – wenn Günter Grajetzky erzählt, was in Kartons mit Sachspenden schon alles gefunden wurde, geht sein Puls hoch: „Das ist eine bodenlose Frechheit, sich der Dinge auf diese Art zu entledigen.“ Der Vorsitzende des „Verein Hilfe und Tat“ in Ottersberg spricht von etwa drei bis vier großen Müllsäcken, die nach jeder Spenden-Sammlung entsorgt werden müssen. Doch es gibt auch viele Menschen, die „wirklich helfen“ möchten und das spenden, was im ehemaligen Ostpreußen, genauer dem zu Polen gehörenden südlichen Teil sowie dem gesamten Ermland und Masuren, dringend gebraucht wird.

Regelmäßig packen bis zu zehn Ehrenamtliche des Vereins mit an, um Spenden entgegenzunehmen. Die Kartons stapeln sich unter dem Lagerhallen-Dach der Firma Ralf Schulz Kälte- und Klimatechnik an der Max-Planck-Straße 11 in Achim. Nach der Annahme werden sie durchgesehen, die Spenden genauer in Augenschein genommen und in Kategorien einsortiert. Danach geht es daran, alles vernünftig zu verpacken, um die Spenden sauber und heile zu ihrem jeweiligen Bestimmungsort bringen zu können.

Ein Kraftakt ist das Verstauen von Krankenbetten. Hier wird gerade eines abgeladen. Fotos: Verein Hilfe und Tat

Liste im Netz informiert über benötigte Spenden

Immer gebraucht wird saubere und gut erhaltene Kleidung in allen Größen. Außerdem nimmt der Verein Schuhe, Haushalts- und Bettwäsche, Handtücher, Haushaltsgeräte, Geschirr, Besteck, Töpfe und Pfannen, Baby- und Kinder-Zubehör sowie Kuscheltiere, Kinderfahrzeuge und Spielzeug dankbar an, genauso wie Lebensmittel mit langer Haltbarkeit. Gerne genommen werden auch Pflegebetten, Rollatoren, Rollstühle sowie Hygiene- und Inkontinenz-Artikel. „Wir haben auf unserer Internetseite eine Liste, auf der genau steht, was wir benötigen – und was nicht“, sagt Günter Grajetzky.

Es gibt Senioren, die sich noch nicht einmal ein Busticket zum Arzt leisten können.

Wenn er und Vereinsschriftführerin Ute Fetkenhauer mit der Frage „Warum fahrt ihr denn da noch hin? Polen geht’s doch gut“ konfrontiert werden, erzählen sie von der Armut, die sie in den ländlichen  Grenzgebieten zu Russland – von Braunsberg im Norden bis Johannisburg im Süden – mit eigenen Augen gesehen haben: von Frauen, die mit bloßen Händen im Acker nach Kartoffeln graben, von ungepflasterten Höfen, die kaum Ertrag einbringen, von hoher Arbeitslosigkeit und kleinen Renten, von Senioren, die sich noch nicht einmal ein Busticket zum Arzt leisten können.

Etwa 2,8 Tonnen Bettwäsche für das Krankenhaus „Johann-Paul II“ in Bartoszyce werden abgeladen, zudem Kittel der alten Aller-Weser-Klinik.

„Ihr habt uns nicht vergessen“

„Die Welle der Dankbarkeit und Gastfreundschaft, die uns dort entgegen schwappt, ist jedes Mal wieder überwältigend“, so Fetkenhauer. Das Betätigungsfeld des Vereins ist breit. Es umfasst nahezu alle sozialen Einrichtungen: Krankenhäuser, Kinder- und Altenheime, Kommunen, kirchliche Institutionen, Kindergärten, Schulen, Waiseninternate, aber auch die Stützpunkte der Johanniter und Arbeitslosenvereine. „Ihr habt uns nicht vergessen“ ist ein Satz, den die Ehrenamtlichen immer wieder zu hören bekommen. „Umgekehrt ist es genauso“, sagt Ute Fetkenhauer. „Mehrere soziale und kulturelle Gesellschaften der deutschen Minderheit pflegen immer noch mit Hingabe deutsches Brauchtum und sind sehr dankbar für unsere Hilfe.“

Sprit ist teuer geworden.

Der „Verein Hilfe und Tat“ selbst ist ebenfalls dankbar über jede Unterstützung – sei es das tatkräftige Anpacken, Geld- und Sachspenden von Firmen und aus der Bevölkerung oder der Zuschuss vom Landkreis Verden. Die jährlichen Transporte werden mit eigenen Vereinsfahrzeugen organisiert. „Sprit ist teuer geworden“, gibt Günter Grajetzky zu bedenken. Hinzu kommen Kosten für die Reparatur und Wartung der Fahrzeuge sowie Versicherungen, die jährlich ein „unkalkulierbar großes Loch in die Kasse reißen“. Der Verein übernimmt die Kosten für Treibstoff und vereinsrelevante Ausgaben. „Für Übernachtungen und Verpflegung zahlen die Fahrtteilnehmer selbst.“

Diese Spende ist eher ungewöhnlich: Pfarrer Jerzy Olechnowicz von der Kirchengemeinde Kandyty freut sich über eine Orgel.

Highlight: 1,5 Tonnen Gemüse und Kartoffeln

Im Sommer 2022 konnte sich der Verein über einen neuen Lkw freuen, „eine außergewöhnlich große Spende der Firma XXL Lutz-Dodenhof“. Die jährlichen zwei Touren in die Oblast Kaliningrad wurden vorerst aufgrund des Ukraine-Krieges gestrichen, berichtet Grajetzky. Neben den üblichen Spenden hatte der Verein um Hilfsgüter für die ukrainischen Flüchtlinge gebeten. Das Ergebnis freute den Pfarrer der ukrainischen Kirche in Bartenstein, der dort rund 60 Kriegsflüchtlinge betreut. Highlight war eine Spende der Hofgemeinschaft Thießen & Göse aus Marne in Form von 1,5 Tonnen Gemüse und Kartoffeln. Auch ein neu gegründeter Kindergarten der Kirche konnte ausgestattet werden. Der letzte Transport 2022 ging im November nach Pelplin zur Sozialstation.

Dankschreiben vom Bürgermeister

Vor einigen Tagen ist das Team von einem Transport nach Gorowa-Ilaweckie (Landsberg) und Bartoszyce (Bartenstein) zurückgekehrt. „Die Resonanz war umwerfend“, berichtet Ute Fetkenhauer. Der Bürgermeister von Gorowa-Ilaweckie schreibt in einem Brief: „… sagen herzlichen Dank für selbstlose Hilfe, offenes Herz und Güte, die wir von Ihnen erhalten haben, was uns bewusst macht, dass wir viele Freunde haben, auf die wir zählen können.“ Etwa Mitte April soll der nächste Transport nach (Bartenstein) im Ermland-Masuren rollen. Die Touren des Vereins für dieses Jahr sind durchgeplant. Sie führen unter anderem nach Biskupiec, Kandyty, Litzbark-Warminski und Pisz-Johannisburg. Wer das Team mit Spenden unterstützen möchte, schreibt eine E-Mail an info@hilfe-und-tat.de, damit gemeinsam ein geeigneter Annahmetermin abgestimmt werden kann.

Der Verein Hilfe und Tat in Zahlen

115 Mitglieder gehören dem Verein an.
12 Fahrer sind derzeit aktiv beteiligt.
1994 wurde der Verein gegründet.
4 bis 5 Tage dauert ein Transport.
2022 wurden für 8 Fahrten 17.500 Kilometer zurückgelegt.
22 mal haben die Helfer 2022 nachmittags sortiert und gepackt.
45 Tonnen Spendengüter erreichten 2022 ihr Ziel.
65 plus sind die meisten Vereinsmitglieder alt.

Auf der Suche nach den Ahnen

Die Ahnen unseres Kollegen Ulf Buschmann kommen unter anderem aus Ostpreußen und Masuren. Für die Nord West Reportagen ist er auf die Suche nach ihnen gegangen, nachzulesen hier: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4.

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