Ukrainekrieg: Spürbar im Alltag Danzigs

Auch Bremens Partnerstadt Danzig ist vom Ukrainekrieg betroffen. Hierzu gehört die so wichtige Tourismusindustrie. Eine Spurensuche.

Von Ulf Buschmann

Zukowo ist eine ganz gewöhnliche Stadt am Rande der Kaschubischen Schweiz mit gut 6.500 Einwohnern. Bis zur polnischen Ostseemetropole Danzig, Bremens Partnerstadt, sind es gut 30 Kilometer. Morgens und abends sind tausende von Berufspendlern unterwegs. Eine Stunde Weg müssen sie einkalkulieren. Alles scheint wie immer. Und doch hat der seit über einem Jahr in der Ukraine tobende Krieg auch den Alltag der Danziger verändert. Das sowieso schon immer angespannte Verhältnis zwischen Polen und Russen hat sich nochmal verschlechtert. Zur Orientierung: Polen grenzt im Nordosten an das Gebiet Kaliningrad.

Das Ehrenmal in der kleinen Stadt Zukowo ist verhüllt. Foto: Buschmann

Seit vergangenem Jahr sind zum Beispiel sämtliche Ehrenmale, die an die „Befreiung Polens vom Faschismus durch die Rote Armee“ erinnern, verhüllt. Auch das in Zukowo, das sich an der Strecke der Pendler befindet. Was das Ehrenmal einmal darstellte, lässt sich für die Menschen, die es nicht kennen, nur erahnen – es ist mit schwarzer und blauer Plastikfolie umwickelt. Vor der Tafel, auf der die beim Kampf um Zukowo gefallenen Soldaten der sowjetischen Roten Armee aufgelistet sind, stehen ein paar verwelkte Blumen. Davor liegen zerbrochene Windlichter, wie sie die Katholiken auf ihre Gräber stellen. „Zum Gedenken an die 3897 Rotarmisten, die im März 1945 im Kampf gegen die Deutschen gefallen sind“, ist da auf polnisch zu lesen. Aber dafür interessiert sich heute keiner mehr.

Für die gefallenen sowjetischen Soldaten interessiert sich niemand mehr. Foto: Buschmann

Auswirkungen auf den Tourismus

Zukowo und Danzig sind wie ganz Polen und die Nachbarstaaten der Ukraine vom Krieg dort betroffen. Doch während der Süden nicht nur Zufluchtsort ist, sondern auch Durchgangsstation zum Beispiel nach Deutschland, merkt Danzig am für die Metropole so wichtigen Tourismus, dass Krieg in Europa ist. Konkret: Die bislang zahlreichen Bustouren nach Masuren gibt so gut wie gar nicht mehr. Reiseführerin Joanna Kauder erklärt den Unterschied: „Früher kamen vier bis sechs Busse pro Woche von oder nach Masuren nach Danzig, jetzt sind es nicht einmal vier Busse für die komplette Saison.“ Den Grund dafür kennt Kauder ziemlich genau: „Die Leute glauben, Masuren ist zu nah an der russischen Grenze.“

Blick auf den Mauersee bei Węgorzewo.

Diesen Blick auf den Mauersee in Masuren genießen Touristen inzwischen wegen des Ukraine-Krieges recht selten. Foto: Buschmann

Für den Tourismus beziehungsweise für Gästeführer wie Kauder ist der Ukrainekrieg somit ein weiterer Schlag in den Nacken. Denn nicht nur die Masuren-Reisen fallen weg. Auswirkungen hat die russische Aggression auch auf die Schiffstouristik: Die Passagen nach St. Petersburg sind aufgrund der Sanktionen gegen Russland komplett gestrichen. Bereits im vergangenen Jahr seien die Kreuzfahrtschiffe mit Ziel Gdynia und Danzig wegen der Corona-Pandemie nur zu 50 Prozent ausgebucht gewesen. Kauder spricht von ganzen drei Schiffen mit jeweils 160 Gästen. Bei insgesamt zwölf weiteren Schiffen habe es gerade einmal Arbeit für ein bis zwei Stadtführer gegeben.

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Düngemittelverladung im Danziger Hafen: Die polnische Wirtschaft spürt die Krise. Foto: Buschmann

In der Schuldenfalle

Schon Ende vergangenen Jahres prophezeite das Außenhandelsportal „Germany Trade & Invest“ einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Was die Wirtschaftswissenschaftler von oben sehen, bestätigt unter anderem Gästeführerin Kauder mit dem Blick von unten. Schon vor dem Krieg sei die wirtschaftliche Lage nicht berauschend gewesen. Inzwischen habe sich die Lage noch weiter verschlechtert. Was der Danzigerin Sorgen macht: „Die Menschen rennen mit offenen Armen in die Schuldenfalle.“ Beispiel Zukowo: Dort entstehen zahlreiche neue Häuser. Doch die Baukredite haben sich durch die steigenden Zinsen enorm verteuert. Wer vor vier, fünf Jahren noch umgerechnet 250 Euro für Zinsen und Abtrag zahlte, muss jetzt das Drei- bis Vierfache aufbringen.

Tausende von Touristen besuchen inzwischen wieder Danzig. Foto: Buschmann

Was Danzig angeht, so sind Fachleute der Auffassung, dass die Stadt noch immer von der Fußball-Europameisterschaft 2012 zehre. Das Event habe für zahlreiche große Investitionsprojekte gesorgt. Hierdurch sei das ganze Land an der Finanzkrise vorbeigerutscht. „Da waren wir ziemlich gut unterwegs“, sagt Gästeführerin Kauder. Corona habe jedoch alles kaputtgemacht. So hätten unter Firmen wie Lufthansa Systems, Thyssenkrupp und Bayer großflächig Büros in Danzig angemietet. Doch durch das Arbeiten im Homeoffice würden die Flächen nicht mehr benötigt.

Gehört unbedingt zum touristischen Programm: eine Bootstour auf der Modlau. Foto: Ulf Buschmann

Verhältnis zu Ukrainern

Wer sich mit Menschen aus Danzig unterhält, bekommt zudem den Eindruck, dass das Verhältnis zu den Geflüchteten aus der Ukraine nicht ganz so ungetrübt ist, wie von der polnischen Politik kommuniziert. Aber darüber wird eher hinter vorgehaltener Hand gesprochen. Am Hauptbahnhof berichtet eine Frau zum Beispiel: „Die PiS-Regierung hat soziale Geschenke wie das Kindergeld gemacht.“ Da seien vor allem Frauen aus Familien mit geringem Einkommen lieber zu Hause geblieben, statt in ihrem schlecht bezahlten Job zu arbeiten.

Stand nicht für ein Interview zur Verfügung: Danzigs Stadtpräsidentin Aleksandra Dulkiewicz. Foto: Artur Andrezj/CC BY-SA 4.0

Wenn sie nach dem Auslaufen des Kindergeldes wieder an ihrer alten Arbeitsstelle anfangen möchten, sei diese durch eine Frau aus der Ukraine besetzt. „Dies führt Skepsis gegenüber den Ukrainern“, sagt die Frau noch, bevor sie in ihre Straßenbahn einsteigt. Über die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt und die Auswirkungen des Ukrainekrieges hätten wir auch gerne mit Danzigs Stadtpräsidentin Aleksandra Dulkiewicz gesprochen. Doch auf die Anfragen der Nord West Reportagen per E-Mail und Telefon gab es keine Antworten.

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ECS-Direktor Jacek Koltan. Foto: Ulf Buschmann

Polnisches Trauma

Einer der Menschen, der die Lage in Danzig zu Beginn des Krieges und aktuell beschreiben kann, ist Jacek Koltan, Politikwissenschaftler und Forschungsbeauftragter des Europejskie Centrum Solidarności, auf Deutsch Europäisches (ECS) in Danzig. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine sei bei den Polen ein tiefsitzendes Trauma erwacht: Die Angst vor dem großen Nachbarn. „Das war auch bei den jungen Leuten so“, sagt Koltan. Als die ersten Flüchtlinge über die polnisch-ukrainische Grenze gekommen seien, sei die Bereitschaft zur Hilfe denn auch riesig gewesen. Dies betreffe vor allem die private Aufnahme von Menschen.

Besucher des Solidarnós-Centers schauen auf die Sprüche auf den vielen kleinen Zetteln. Foto: Ulf Buschmann

Die Danziger Verwaltung habe ebenfalls ziemlich schnell Hilfe organisiert. „Die Städte waren sehr dynamisch, aber noch dynamischer war die Zivilgesellschaft“, erinnert sich der Wissenschaftler vom ECS. Nach zwei bis drei Monaten habe sich aber eine große Müdigkeit der Zivilgesellschaft eingestellt. Der Hintergrund aus Koltans Sicht: Es gab für die Aktiven keine oder nur wenig Hilfe von der Regierung aus Warschau. Zwar hat dieses Geld an die Wojwodschaften, die den deutschen Bundesländern entsprechen, und Kreise überwiesen. Aber das war es dann auch, ist aus der Provinz zu hören.

Die Menschen strömen wieder in die Cafés, Bars und Restaurants in der Danziger Altstadt. Foto: Ulf Buschmann

Für die Zukunft wünscht sich ECS-Direktor Koltan, dass sich die Europäer fragen: „Was bedeuten uns Freiheit, Demokratie und Solidarität?“ Dies gelte gerade in Bezug auf die Ukraine, die sich spätestens seit 2014 „zu einer politischen Nation geformt“. Koltan ist sich sicher: „Die Zukunft Europas wird an dieser Konfliktlinie entschieden.“

Das Trauma Polens

Dass Polen vor allem in Sachen militärischer Unterstützung für die Ukraine seit Beginn des Krieges mehr Dampf macht, ist hat in erster Linie mit der Geschichte des russischen Imperialismus zu tun. Darauf weist ECS-Vizedirektor Jacek Koltan im Gespräch mit den Nord West Reportagen hin. Bis heute seien Kriege und Gewalt ein Teil russischer Machtpolitik. Die Kritik daran gebe es in Polen daran in der Literatur, in der Geschichtsschreibung oder auch in der Kultur allgemein viel Kritik. Das polnische „Riesentrauma“, das der russische Imperialismus hervorgebracht habe, sei die Vernichtung des polnischen Nationalstaates im 18. Jahrhundert. Dieses wirke bis heute nach.

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